Offener Brief zum Thema Bürgerbeteiligung in Leipzig

Offener Brief zum Thema Bürgerbeteiligung in Leipzig

Wir Ökolöwen sorgen uns, dass die angeschobene Bürgerbeteiligungsoffensive "Leipzig weiterdenken" torpediert wird. Insbesondere beim Thema Verkehr wurde in den letzten Monaten Beteiligungskultur missachtet.

Wir fordern den Oberbürgermeister Burkhard Jung in einem offenen Brief auf, die Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen und Mobilität für alle Bürgerinnen und Bürger zu gestalten!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Burkhard Jung,
wir haben Grund zur Sorge, dass die von Ihnen angeschobene Bürgerbeteiligungsoffensive "Leipzig weiterdenken" torpediert wird. Insbesondere beim Thema Verkehr wurde in den letzten Monaten Beteiligungskultur missachtet. Im Jahr 2012 hat die Stadt Leipzig unter Baubürgermeister Martin zur Nedden (SPD) einen bis dahin beispiellosen Bürgerbeteiligungsprozess zur Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr und Öffentlicher Raum initiiert. Mit dem Bürgerwettbewerb „Ideen für den Stadtverkehr“ wurden über 618 Vorschläge aufgenommen. Es wurde ein Runder Tisch "Verkehr und Öffentlicher Raum" eingerichtet, an dem Interessengruppen aus allen Gesellschaftsbereichen – von Wirtschaft über Soziales bis Umwelt – zusammen mit allen Fraktionen und verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung Platz nahmen. In dutzenden Sitzungen, über mehrere Jahre hinweg, diskutierten alle Beteiligten über die Gestaltung des Mobilitätswandels in Leipzig. Der Runde Tisch wurde dabei von neun angesehenen VerkehrsprofessorInnen aus der gesamten Bundesrepublik begleitend beraten. Am Ende der Diskussion gab es eine Einigung auf gemeinsame Leitlinien. So hat der Stadtrat 2015 beschlossen, die Verkehrsträger des Umweltverbundes (Fuß- und Radverkehr, Carsharing, Öffentlicher Nahverkehr) besonders zu fördern. Der Marktanteil umweltfreundlicher Verkehrsträger soll von 60 Prozent im Jahr 2015 auf 70 Prozent im Jahr 2025 gesteigert, der Anteil des Autoverkehrs entsprechend gesenkt werden. Die konkrete Umsetzung sollte im Rahmen von Fachkonzepten geklärt werden. Jetzt wäre die Zeit des Handelns. Maßnahmen für eine Verkehrswende müssen jetzt zügig umgesetzt werden, um die Beschlüsse aus der Bürgerbeteiligung zu erfüllen.


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
die Stadtverwaltung hält sich aber nicht an diese Abmachungen. Die Fortschreibung des Luftreinhalteplans, des Lärmaktionsplans sowie des Nahverkehrsplans wird bis heute aufgeschoben. Im STEP wurde die Erstellung eines Fußverkehrskonzeptes (das letzte stammt aus dem Jahr 1997!) festgelegt. Auch dieses liegt immer noch nicht vor. Der Radverkehrsentwicklungsplan, der bereits auf den Weg gebracht worden ist, wird nur ansatzweise umgesetzt. Es gibt bis heute kein abgestimmtes Hauptnetz für den Radverkehr. Die beschlossene Ausfinanzierung der Radverkehrsförderung von fünf Euro pro Einwohner und Jahr wird deutlich unterschritten.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
wenn Sie Ergebnisse aus Bürgerbeteiligungsprozessen nicht oder nur unzureichend umsetzen, dann verkommt Bürgerbeteiligung zur Beschäftigungstherapie, Demokratieverdrossenheit wächst.

Leider kommt es noch schlimmer. Im selben Atemzug, in dem die bestehenden Beschlüsse nicht umgesetzt werden, belohnen Sie aktuell jene Wirtschaftskammern mit einer Sonderbehandlung, die sich nicht an die gemeinsamen Verabredungen der Runden Tische erinnern, die Beteiligungsprozesse verlassen und lautstark über die Zeitung Stimmung machen – auch gegen Einzelpersonen aus Ihrer Verwaltung.

Die Sonderbehandlung drückt sich in vielen Details aus. So haben die Wirtschaftskammern, die Mobilitätsstrategie 2030, die in Ihrem Hause aktuell erarbeitet wird, bereits vier Wochen vor allen anderen Interessenverbänden zur Kenntnis bekommen. Die Kammern haben nach Verlassen des Runden Tisches mehrfach exklusive Gespräche eingefordert und auch bekommen. Damit entsteht gerade ein großer Schaden auch für alle anderen Mitwirkungsprozesse in Leipzig. Ungeachtet dessen wird es weitere Treffen geben, in denen die Verwaltung konkrete Verkehrsprojekte mit den Wirtschaftskammern besprechen will.

Die Stadt soll nach Wünschen der Wirtschaftskammern, entgegen der Verabredungen am Runden Tisch, den Bau des sogenannten Mittleren Rings durch die grünen Lungen Leipzigs vorbereiten. Zuerst soll auf Wunsch der Kammern eine Verkehrsschneise durch den Stünzer Park und den Wilhelm-Külz-Park geschlagen werden. Dies soll den Anfang bilden, für ein umfangreiches Straßenneubauprogramm, das sich die Kammern in ihrem Strategiepapier „Mobilität700plus“ ausmalen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
wir warnen vor der Renaissance einer exklusiven Hinterzimmerpolitik. Der Bau von Straßen durch Leipzigs grüne Lungen ist in keiner Weise zu akzeptieren. Wir möchten eindringlich an Sie appellieren, als Oberbürgermeister aller BürgerInnen die Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung zum Stadtentwicklungsplan Verkehr und Öffentlicher Raum endlich ernst zu nehmen. Setzen Sie die dort gemachten Vereinbarungen um und sorgen Sie für eine engagierte Verkehrswende in Leipzig, so wie das mittlerweile fast alle europäischen Metropolen tun. Nur mit der Verlagerung auf umweltfreundliche und flächensparende Verkehrsmittel kann die Belastung aus dem Autoverkehr in der wachsenden Stadt erträglich gehalten werden.

Wir werden uns weiterhin konstruktiv in demokratische Mitwirkungsprozesse einbringen, die in den letzten Jahren entwickelte Beteiligungskultur in Leipzig weiter befördern und unsere lebenswerte Stadt gemeinsam nachhaltig gestalten.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Schaaf
Vorstand       

Nico Singer          
Geschäftsführer

Tino Supplies
Fachbereichsleiter Nachhaltige Mobilität & Stadtentwicklung

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